Ernährung und Hunger #2 - Hungerfrage


Übung 1: Die Hunger-Frage: „Bin ich hungrig?“

Oft liest man: „Iss nur, wenn du hungrig bist.“ Leichter gesagt als getan, wenn man sich jahrelang nicht gefragt hat, ob man hungrig ist. Übrigens essen mehr als 95 Prozent der Österreicher aus Gewohnheit, Angebot, weil es gerade Mittag ist, aus Frust und unzähligen anderen Gründen. Sie verspüren jedoch keinen Hunger.

Im Zuge meiner Ayurveda-Ausbildung bekamen wir Teilnehmer die Aufgabe, erst zu essen, wenn wir echten Hunger verspürten. Am Abend aßen wir zusammen nur eine Gemüsesuppe. Ich dachte: „Da bekomme ich ja schon wieder Hunger, wenn ich im Auto sitze. Das Supperl hält ja nicht lange satt.“ Es kam ganz anders. Meinen nächsten echten Hunger hatte ich am Folgetag gegen 15.00 Uhr! Also erst 21 Stunden nach dem Supperl. Ich aß meist aus Gewohnheit. Gleich um 6.15 Uhr gab es Frühstück noch vor der Schule, eine Jause, Mittagessen, Nachmittagssnack und Abendessen. Mein Körper hatte nie die Zeit, zu verdauen, sich zu regenerieren, geschweige denn ein Hungergefühl zu entwickeln. Ich habe ständig brav nachgefüllt.

Was will dir Hunger sagen? HUNGER IST STOFFWECHSEL. Wenn du hungrig bist, signalisiert dein Körper, dass er jetzt bereit ist für die Nahrungsaufnahme und bestmöglich verstoffwechseln kann. Er sagt: „Hey, ich bin jetzt bereit.“ Doch was machen wir? Wir essen ohne Hunger. Das ist so, als würde man sich bei -2 Grad nur ein T-Shirt anziehen. Wenn uns kalt ist, ziehen wir uns doch auch an, ohne dass uns jemand sagt: „Regel Nummer 1: Zieh dich an, wenn dir kalt ist.“

Bei der Nahrungsaufnahme spüren wir uns nicht mehr. Wir verlernen es schon im Säuglingsalter, wenn Mama uns nochmals an die Brust „hängt“, obwohl unser Säuglings-Ich bereits den Kopf abwendet. Genau in diesem Moment vergessen wir das Spüren. Später heißt es dann: „Frühstück muss sein!“ oder „Zamgessen wird, sonst gibt es schlechtes Wetter!“

Das soll jetzt keine Schuldzuweisung sein, sondern eine Erklärung. Ganz egal, aus welchen Gründen man an diesem Punkt angelangt ist… Jetzt heißt es trotzdem, in die Eigenverantwortung zu gehen! Vorausgesetzt, man will sich und seinen Hunger wieder spüren lernen. Ansonsten kannst du gleich aufhören, diesen Beitrag zu lesen und deine Zeit anderweitig nutzen. Zum Beispiel essen? Provokant… ;-)

„Iss nur, wenn du hungrig bist.“ Diese Regel würde ich so nicht unterstreichen. Es ist im Alltag oft nicht möglich, nur zu essen, wenn man hungrig ist. Sie erzeugt Druck und Frust, weil man genau weiß, dass Scheitern vorprogrammiert ist.

Mein Motto ist: „Frage dich, ob du hungrig bist.“ Das kann jeder. Das ist der Anfang. Du musst nicht immer essen, wenn du hungrig bist. Du musst nicht immer auf deinen Hunger warten. Du musst nicht immer auf alle Familienmitglieder Rücksicht nehmen und Essen bereitstellen, wenn Vater, Mutter und Kind hungrig sind. Aber du kannst für dich und deine Familie Bewusstsein für das eigene Hungergefühl und mehr Körperbewusstsein schaffen. Jedes Mal, wenn du deinen Körper fragst: „Bin ich hungrig?“, hörst du auf seine Zeichen und das ist eine Form von Wertschätzung. Du bist mit deinem Bewusstsein ganz bei deinem Körper und schaffst somit ein neues positives Lebensgefühl. Wie fühlt sich dein Körper, wenn seine Signale über Jahre hinweg ignoriert werden?

  • Wie fängt man an?

Du kannst dir die Hungerfrage im Grunde zu jeder Tageszeit stellen, auch wenn kein Essen in Sicht ist. Du wirst auch merken, dass dir deine Mahlzeit viel besser schmeckt, wenn du hungrig bist.

  • Woher weiß ich, ob es wirklich Hunger ist?

Ich kann dir diese Frage nicht beantworten. Das kannst nur du. Jeder spürt seinen Hunger anders. Anfangs verwechselte ich Appetit mit Hunger. Bei Appetit ist dein Wunsch zielgerichtet. Du würdest am liebsten Pasta essen oder ein Stück (oder Tafel) Schokolade. Bei echtem Hunger begnügst du dich auch mit einer nicht so „attraktiven“ Mahlzeit, weil im Vordergrund die Nahrungsaufnahme und nicht der Gusto steht.

  • Wie fühlt sich mein Hunger an? Muss der Magen knurren?

Wenn ich „angenehm“ hungrig bin, macht sich mein Magen zwar schon leicht bemerkbar, aber das Gefühl ist gut auszuhalten. Grummelt mein Magen jedoch richtig laut, habe ich definitiv schon zu lange nichts mehr gegessen. Dann habe ich den „idealen“ Zeitpunkt verpasst. Wie gesagt, manchmal geht es einfach nicht anders. Ich versuche, es nicht so weit kommen zu lassen. Ich stelle mir dennoch die Frage „Bin ich hungrig?“ – „Ja, zu hungrig.“

  • Was soll ich tun, wenn ich gar keinen Hunger habe, aber verabredet bin?

Im Alltag ist es oft nicht möglich, genau dann zu essen, wenn man hungrig ist. In der Arbeit ist das oft der Fall, oder wenn ich das Wochenende mit meinem Freund verbringe und zwei unterschiedliche „Rhythmen“ aufeinandertreffen. Ich stelle mir trotzdem vor jeder Mahlzeit die Frage „Bin ich hungrig?“ Wenn die Antwort nein ist, gibt es zwei Möglichkeiten: nicht zu essen, oder zu essen. So einfach ist das. Manchmal möchte ich nicht auf den Genuss der Mahlzeit verzichten und esse ohne Hunger. Und das ist okay. Für mich ist es das Wichtigste, die Signale des Körpers zu HÖREN und nicht, jede meiner Entscheidungen und Handlungen sofort auf die Bedürfnisse meines Körpers abzustimmen. Das ist nicht lebensfreundlich.

  • Wie hat die Hungerfrage mein Leben verändert?

Seit ich mir diese Frage stelle, hat sich mein Ernährungsverhalten wie von selbst zum Positiven verändert. Ich habe wie von Zauberhand begonnen, meist dann zu essen, wenn ich hungrig bin. Ich fühle mich wohl in meinem Körper und nehme ihn positiver wahr. Selbstzweifel sind geschrumpft, ich bin selbstbewusster und habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich Mahlzeiten esse, die ich mir vor einigen Jahren noch verwehrt hätte.

  • Dankbarkeit

Ich lebe nicht „Iss nur, wenn du hungrig bist.“ Ich lebe nach dem Motto: „Frage dich, ob du hungrig bist“. So zeigst du deinem Körper Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Dankbarkeit. Ich bin dankbar für die Signale meines Körpers, ich höre sie und esse manchmal ohne Hunger. Danke.

PS: Ich möchte noch anmerken, dass das mein persönlicher Zugang ist und ich diese Art zu leben, niemandem aufzwingen würde. Wenn er für dich plausibel klingt, probiere ihn doch einfach aus. Wenn du meine Einstellung nicht teilst, ist das ebenso in Ordnung.

 

Alles Liebe

Christina

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